Hundert Tage Trauerarbeit: wie lebt man mit einem Kindsverlust?
Martin Hiller liest aus seinem Buch "Frau Elster und der eingestickte Wal"
An einhundert Tagen hat der Autor das, wofür es eigentlich keine Worte gibt, aufzuschreiben versucht. Entstanden ist ein massives, wortreiches Dokument der ersten Zeit der Trauer. Das Buch berichtet von der Zeit mit dem Kind, von der Zeit nach seinem Tod, vom Weiterleben mit seinem Zwillingsbruder, und geht – im Suchen nach Ankern und Artefakten aus der Zeit mit und vor den Kindern – in schonungslos autobiografische Bereiche.
"Wir liefen durch den Friedhofspark und die Frau mit der Kladde sagte wenig, was irgendwie gut war. „Wir machen das hier alles zum ersten Mal“. Dieser groteske Satz lag mir im Kopf herum. Ich sprach ihn nicht aus, ich fühlte mich auch nicht wirklich hilflos, ich wusste nur nicht, wie das geht, jemanden zu beerdigen, aber ich hatte das sehr starke Gefühl in mir, dass es gut werden muss. Damit meinte ich verschiedene, mir noch gar nicht insgesamt so klare Facetten von allem, was mit dem Tod und was man für den Toten macht, zusammenhängt. Der Ort in dem wir hier liefen war auf sanfte Art schön, was mich, während ich so empfand, irritierte, da es doch ein Ort ist, an dem wir jetzt nicht sein sollten. Aber uns war sehr schnell klar, was wir hier für Karl jetzt wollten, was wir leider wollen mussten: einen ihm entsprechenden Ort."
(aus: Martin Hiller - "Frau Elster und der eingestickte Wal")