Nachdenkliches in der Coronapause

"Er kann nicht in den Militärdienst? Lass ihn ein öffentliches Amt bekleiden. Muss er im Privaten leben? Lass ihn seinen Mitbürgern als stiller öffentlicher Zeuge dienen. Es ist gefährlich auf dem Forum? Dann soll er sich in Privathäusern zeigen, bei öffentlichen Gelegenheiten und Zusammenkünften auftreten, als guter Verbündeter, treuer Freund, und moderater Tischnachbar. Er hat die Pflichten eines Bürgers nicht mehr? Lass ihn die Pflichten eines menschlichen Wesens ausüben."
Seneca, Von der Ruhe des Gemüts, 4.3.

FAZIT: ' Es ist gut, flexibel zu sein'
Kurz vor seinem Tod, als der Sieg im Bürgerkrieg schon zum Greifen nahe war, erzählte Lincoln einer Zuhörerschaft aus Generälen und Admiralen eine Geschichte - über einen Mann, der ihn wegen eines hochdekorierten Amtes in der Regierung angesprochen hatte. Zunächst bat der Mann, Außenminister werden zu dürfen. Als ihm diese Bitte abgeschlagen wurde, fragte er nach einer bescheideneren Position. Als er wieder eine Absage bekam, bat er um eine Stelle als kleiner Zollbeamter. Als er begriff, dass er selbst diesen Posten nicht bekommen würde, bat er Lincoln schließlich um eine alte Hose. 'Hach', lachte Lincoln, als er die Geschichte beendete, 'es ist gut, bescheiden zu sein.'
Diese Geschichte ist ein Beispiel für die Flexibilität und Zielgerichtetheit des Stoizismus. Wenn dies nicht funktioniert, können wir ja vielleicht jenes versuchen. Und wenn das nicht klappt, können wir ja etwas anderes ausprobieren. Und wenn auch das unmöglich ist, wird sich sicher noch ein anderer Weg auftun. Selbst wenn das letzte Ziel lautet, ein guter Mensch zu sein, haben wir doch immer die Gelegenheit, unsere Philosophie zu praktizieren und einen Beitrag zu leisten.

Aus: Ryan Holiday & Stephen Hanselman: Der tägliche Stoiker. 366 Nachdenkliche Betrachtungen über Weisheit, Beharrlichkeit und Lebensstil. Finanzbuchverlag, 2017